S O E S T – Es ist ein mittlerweile vertrautes Bild in der WIR-KITA St. Nikolai in Soest: Wenn die Leitung Kathrin Bolley morgens zur Tür hereinkommt, wird es im sonst so quirligen Flur plötzlich ganz leise. Alle Augen richten sich auf die Transportbox in ihren Händen, denn die Kinder wissen: Dort drin sind ihre stacheligen Schützlinge. Für die Jungen und Mädchen beginnt dann ein ganz besonderer Teil ihres Kita-Alltags – einer, der von Fürsorge, Respekt und großer Verantwortung erzählt.
Wo sonst Lachen und Toben den Ton angeben, versammeln sich die Kinder nun flüsternd und auf leisen Sohlen. In respektvollem Abstand beobachten sie, wie Kathrin Bolley und ihr Team die kleinen Igel versorgen. Diese Tiere sind keine dauerhaften Bewohner, sondern Patienten auf Zeit. Oft sind es junge, verwaiste Igelchen, die den Winter ohne Hilfe nicht überstehen würden.
Das Projekt ist die große Leidenschaft von Kathrin Bolley, die ihre private Igelhilfe kurzerhand in den Kita-Alltag integriert hat. „Die Kinder sind mit einer unglaublichen Begeisterung und Ernsthaftigkeit dabei“, erzählt sie. „Sie verstehen sofort, dass dies keine Kuscheltiere sind, sondern hilfsbedürftige Wildtiere, die unsere Hilfe brauchen.“ Jeden Morgen reisen die Igel mit ihr in die Kita und nach Feierabend wieder zurück nach Hause, wo die intensive Pflege weitergeht.
Für die Kinder ist es eine wichtige Aufgabe. Sie lernen, ganz leise zu sein, um das feine Gehör der Igel nicht zu stören. Sie wissen, dass die Tiere tagsüber schlafen und nicht geweckt werden dürfen. Das ganze Team der WIR-KITA St. Nikolai unterstützt dieses Projekt und bindet es liebevoll in den Tagesablauf ein. Gemeinsam wird besprochen, was die Igel fressen, welche Gefahren in den Gärten lauern und wie ein igelfreundlicher Garten in Soest aussehen kann.
„Die Kinder entwickeln ein tiefes Mitgefühl“, berichtet Kathrin Bolley. „Sie erleben direkt, dass ihr Verhalten – ihre Ruhe, ihre Vorsicht – den Tieren guttut. Das ist eine unglaublich wertvolle Erfahrung von Selbstwirksamkeit.“ An einer Info-Wand schauen sie sich Bilder von Igel-Operationen an und sprechen über eigene Arztbesuche. So werden Ängste abgebaut und ein Verständnis für die Bedürfnisse anderer Lebewesen geschaffen.
Der schönste und zugleich schwierigste Moment ist immer der Abschied. Wenn ein Igel dank der gemeinsamen Pflege wieder gesund und kräftig genug ist, um in die Freiheit entlassen zu werden, sind alle Kinder dabei. „Es fließen auch mal Tränen, aber am Ende überwiegt der Stolz, einem Tier geholfen zu haben“, sagt Kathrin Bolley. So lernen die Kleinsten in Soest eine der größten Lektionen des Lebens: Dass wahre Tierliebe bedeutet, loszulassen und einem Lebewesen sein wildes, freies Leben zurückzugeben.